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Afrika beim Festival in Avignon
Revolte gegen die ewigen Mächte
von Eberhard Spreng

Der Afrika-Fokus war schon im Vorfeld des 71. Festival d’Avignon umstritten: Nur Tanz und Gesang, kein Theater, lautete die Kritik. Gleichwohl war bei einigen Aufführungen in diesem Programmschwerpunkt eine Haltung der Revolte spürbar, die dem Rest des Festivalprogramms fehlte.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 26.07.2017

Angélique Kidjo beim Schlussapplaus im Papstpalast in Avignon
Angélique Kidjo, Manu di Bango und Isaach De Bankolé beim Schlussapplaus im Papstpalast in Avignon (Foto: Eberhard Spreng)

Bereits im Vorfeld des Festival in Avignon entzündete sich eine heftige Debatte um den Charakter des vorgesehenen Afrika-Programms: Dieudonné Niangouna, der führende Vertreter des afrikanischen Theaters in Europa und vor Jahren einmal Artiste Associé unter der Vorgängerleitung in Avignon, kritisierte es heftig: Es zeige ein Afrika, in dem gesungen und getanzt werde, das aber keine Worte habe, um im Nachdenken über die Welt seinen eigenen Beitrag zu leisten. Autor, Schauspieler und Regisseur Niangouna ärgerte das totale Fehlen von Sprechtheaterproduktionen im Programm.

Tatsächlich war die letzte große Premiere im Papstpalast, „Femme Noir“, nicht viel mehr als ein Potpourri von Isaach de Bankolé etwas müde und traurig vorgetragenen Texten des senegalesische Dichters und Unabhängigkeitspräsidenten Léopold Sédar Senghor und den brillant gesungenen Liedern der Singer-Songwriterin Angélique Kidjo. Senghor gilt mit Aimé Césaire als Vorreiter der „Négritude“, dem frankophonen Pendant zur Black Power Bewegung.

Mehr als fünfzehn Jahre nach seinem Tod bleibt der schwarze Kontinent gezeichnet von Jahrhunderten der Versklavung und Kolonisierung, die selbst die Erinnerung an seine eigene Vorgeschichte verstellen. Die international bekannte malische Sängerin Rokia Traoré, erzählt in einem hoch konzentrierten Konzert den Mythos um Soundiata Keïta, den Gründer des malischen Königreiches des 13. Jahrhunderts. „Dieser Kontinent wurde nie so gezeigt, wie seine Bewohner es wollten. Über ihn haben immer nur Leute geredet, die glaubten, ihn verstanden zu haben, was sie aber nicht taten. Das verfälscht sogar das Selbstbild der Schwarzen in Afrika.“

Europäer entscheiden, was ein afrikanischer Künstler ist

Normalerweise entscheiden europäische Kulturinstitutionen und Medienkonzerne, was ein afrikanischer Künstler ist. Und so müssen die Versuche des Selbstausdrucks der schwarzen Geschichte immer erst durch den Filter in der Regel weißer Kulturvermittler. Für den Bourkinabé Serge Aimé Coulibaly wirkt die afrikanische Herkunft wie eine Marke, die es zu überwinden gelte. Er hat eine Hommage an den Erfinder des Afro-Beats, den Bandleader, Extremaktivisten und Freiheitskämpfer Fela Kuti erarbeitet, ein ungeheuer energievolles Tanztheater, das in die einstige von Fela ausgerufene und gewaltsam bekämpfte Republik Kalakuta und in dessen „Shrine“-Club in Lagos entführt. Fela Kutis bedingungslosem Einsatz versucht Coulibaly in seiner Arbeit gerecht zu werden. „Was habe ich zu sagen, um die Welt zu ändern? Wichtig ist nicht in jedem Fall: Kannst du eine gute Antwort auf die Fragen unserer Zeit geben? Sondern wieviel Energie bist du bereit aufzuwenden, auf der Suche nach einer Antwort. Diese physische Kraft ist die Basis für die Choreographie.“

Leicht lesbar ist Coulibalys Choreografie, die demnächst auch im Berliner „Tanz im August“ gastieren wird, nicht unbedingt: Er mischt abstrakte mit zeitgenössischen Bildern auch von Kriegszerstörungen, blendet Schriftzüge ein wie „You allways need a Poet“ oder „Without a Story you whould go mad“. Auch die südafrikanische Performance „The last King of Kakfontein“ ist eine schwer zu dechiffrierende Parodie auf egomanische Herrscher wie Donald Trump oder den südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma. Beide Arbeiten haben klare politische Anliegen, sind aber im Gegensatz zur Afrikapädagogik von europäischen Dokumentartheatermachern wie Hans-Werner Kroesinger,  Milo Rau oder Rimini-Protokoll keine textgesteuerten Erklärstücke.

Der Körper der Frau als Territorium

Das gilt besonders auch für die ruandische Künstlerin Dorothée Munyaneza, die in ihrer ungeheuer intensiven Performance „Unwanted“ an das Elend vergewaltigter Tutsi-Frauen und ihrer unerwünschten Kinder erinnert. „Ich wollte über den Körper der Frauen sprechen. Vor allem den Körper im Krieg. Wenn Männer ein Territorium erobern, dann erobern sie auch gewaltsam den Körper der Frauen. Nach dem Genozid haben die ruandischen Frauen dafür kämpfen müssen, dass die Vergewaltigung nicht mehr als geringfügiges Vergehen behandelt wird.“

Die europäischen Theater- und Tanztheateraufführungen in diesem Festival haben den Menschen ungewöhnlich oft in einer tiefenpsychologischen, religiösen oder existentiellen Determiniertheit gezeigt. Das waren Spielanordnungen, die ihn als ergeben gefangen von ewigen Mächten zeigten. Im Gegensatz dazu ist der Gestus der Revolte bei den afrikanischen Arbeiten nicht zu übersehen. Sollte eine solche Zweiteilung im Programm beabsichtigt gewesen sein, wäre dies natürlich eine pures Klischee und Anlass für berechtigte Kritik. Dennoch gilt, dass das Gesamtprogramm Avignon in einer Zeit, die dem Theater vor allem Diskurskompetenz abverlangt, auch in diesem Jahr das Theater als Kunst in allen seinen Schattierungen hoch hält.