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Intendantensuche für die Volksbühne
Etwas fehlt im Berliner Theater
von Eberhard Spreng

Nach dem Abgang von Chris Dercon muss für die Volksbühne ein neuer Chef gefunden werden. Und während im Feuilleton noch nachgehakelt und nachgetreten wird zwischen Castorfianern und Derconisten, lancieren andere schon neue Namen und Ideen. Dabei müsste die Intendantensuche an der Volksbühne auch das Berliner Theaterumfeld berücksichtigen. Eine Gesamtschau tut Not.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 18.04.2018 Die Volksbühne - Verkauft

Die Volksbühne nach Bekanntwerden der inzwischen gescheiterten Senatspläne mit Chris Dercon (Foto: Eberhard Spreng)In der gegenwärtigen Situation, für die der Begriff verfahren geradezu verharmlosend wäre, täte das Kultur-Berlin gut daran, für Momente inne zu halten und die künftige Volksbühnenintendanz mit einer Betrachtung der gesamten Berliner Theaterlandschaft zu verknüpfen. Dafür gibt es einen historischen Vorläufer: 1991 legte Ivan Nagel dem Senat einen zusammen mit Kritikern erarbeiteten Bericht mit dem schlanken Titel „Zur Zukunft der Berliner Theater“ vor. Damals war die Frage, wie die Theater in Ost und West nach der Maueröffnung vor der Abwicklung bewahrt werden  und für sie Profile, Ziele und Aufgaben formuliert werden können. Nicht, dass die Spekulationen der Herren damals allesamt ins Schwarze getroffen hätten: Ihre Idee einer deutsch-deutschen Fünferdirektion am Berliner Ensemble war zum Beispiel ein grandioser Flop, während sich ihr Vorschlag, Frank Castorf an die Volksbühne zu berufen, historisch als genialer Gedanke erwies. Nein, es geht heute, nach dem Debakel der inkompetenten Bühnenpolitik eines Michael Müller und eines Tim Renner zunächst nur darum, dass die Akteure der Berliner Kulturpolitik ihre Beratungsresistenz aufgeben und gemeinsam mit den Akteuren der Bundeskulturpolitik und mit Hilfe von außen darüber meditieren, wie die Berliner Theaterlandschaft 2025 aussehen könnte.

Da müsste man eindeutig auch darüber nachdenken, ob denn die Bundeskulturhäuser ihre Aufgabe derzeit tatsächlich gut erfüllen. Das Haus der Berliner Festspiele steht weitgehend leer, nachdem der staatliche Betreiber die traditionelle Aufgabe des Hauses, Gastspielort für die großen internationalen Bühnenformate zu sein, zugunsten anderer, kleinformatiger Projekte aufgegeben hat. Man hatte während der kurzen Flopsaison an der Volksbühne gelegentlich den Eindruck, hier wolle der Senat dem Bund mit einem eigenen international aufgestellten Gastspielort Konkurrenz machen.

Das Haus der Berliner Festspiele in der Schaperstrasse
Das Haus der Berliner Festspiele wird zu selten genutzt (Foto: Eberhard Spreng)

Eigene Profile haben die Berliner Sprechtheater mit Ausnahme der Volksbühne in ihrem Eigenrepertoire durchaus, völlig diffus wird das Bild allerdings bei der Abbildung des internationalen Bühnengeschehens. Während Berlins Festspielhaushaus verwaist, machen sich viel zu viele andere Akteure in viel zu vielen finanziell nur prekär gesicherten Kleinfestivals auf dem kleinen und mittleren Bühnesegment in viel zu enger ästhetischer Ausrichtung und entlang von zu wenig gerade herrschenden Diskursmoden Konkurrenz. Weshalb dann in Berlin jeder meint, mit internationalem Theater bestens versorgt zu sein, während doch seit Jahren ganze Segmente des Welttheaters weggebrochen sind. Die späten Meisterwerke eines Krystian Lupa fehlen genauso wie ein gigantisches frühes Meisterwerk eines Julien Gosselin. Eine schauspielerisch grandiose Phädra-Suite vom Mythos zur Postmoderne mit Isabelle Huppert in der Titelrolle, inszeniert von Krzysztof Warlikowski, war in New York, London und Athen zu sehen, nicht aber in Berlin. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Nur: Von solchen Aufgaben möge eine neue Volksbühne bitte verschont bleiben, und das kann sie umso mehr, je mehr ihre einstige Namensschwester im Westen, die ehemalige Freie Volksbühne, wieder mehr den Blick ins internationale Schauspiel wagt.

Das Kulturressort ist seit Klaus Wowereit für regierende Bürgermeister attraktiv, weil man an der politischen Spitze der Stadt begriffen hat, dass Kultur als Sympathieträger positive mediale Resonanz verspricht. Michael Müller hat Wowereits Strategie durch seinen Irrtum und beharrliches Schweigen zur Causa Volksbühne ins Absurde verkehrt. Jetzt müsste die Politik eine andere Tugend üben: Die Kunst des Zuhörens und die des Gesprächs mit den Kollegen vom Bund und mit der Kulturöffentlichkeit. Und, um die Diskussion besser zu strukturieren, kann der Kultursenator ja jederzeit so ein Gutachten wie das dereinst, auch heute noch mal beauftragen.