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Árpád Schilling inszeniert in Dresden
Künstlerdämmerung
von Eberhard Spreng

Seit Viktor Orbán Ungarn regiert, ist der entschieden systemkritische Theatermann Árpád Schilling zum Staatsfeind erklärt worden. Da er nach eigenem Bekunden von seinen ungarischen Kollegen keine Unterstützung erfuhr, hat er Ungarn verlassen, lebt nun in Frankreich. In Dresden hat er zusammen mit Co-Autor Mátyás Dunajcsik die Kulturbetriebsfarce „Elbfuge“ urinszeniert.

Deutschlandfunk, Kultur Heute 17.06.2019 → Beitrag hören

Das Staatsschauspiel in Dresden
Foto: Eberhard Spreng

„Kunst ist Krieg, den man gegen seine eigene Begrenztheit, gegen seine eigene Feigheit und Faulheit führt.“ Das sagt der alte Komponist Martin Mulde bei der Probe zu einer Begrüßungsansprache, die er einer PR-Beraterin vorträgt. Sein Zentrum für neue Musik solle „exklusiv“ werden, sagt er. Aber da unterbricht ihn die aus Rumänien immigrierte PR-Frau Lea. Nein, inklusiv müsse es sein. Beide sind Protagonisten in ehrgeizigen Projekten der Weltverbesserung. Martin will der Elbmetropole ein neues Kulturhaus verschaffen und Lea will ihre Karriere in Deutschland nutzen, um in Rumänien eine durch Edelmetallbergbau umweltzerstörte Region zu retten. Auf karger Bühne, auf der nichts weiter steht als ein alter Flügel, verschränkt Árpád Schilling zwei Geschichten in einem Stück. Die erste, weitaus ausführlichere, erzählt vom selbstverliebten Künstler, von dem dereinst wichtige Impulse für die Entwicklung der zeitgenössischen Musik ausgingen, der seit Jahren aber nichts neues mehr komponiert hat. Erfolgreich hat er das „Amsterdam-Ensemble“ geleitet, aber plötzlich wird gemunkelt, er habe seine Musiker unnötig gequält. Der Zuschauer denkt an die Diskussion um den Führungsstil von Dirigent Daniel Barenboim, die Staatskapelle und die Angstdebatte. Auch der frühe Tod der jungen, hochtalentierten Pianistin Sophie Kamnitz wird mit Komponist Martin Mulde in Verbindung gebracht. Als seine Frau dann beim Blick in Kompositionskizzen des vor Jahren verstorbenen Talents erkennt, dass der verehrte Gatte dereinst für seine berühmte „Elbfuge“ aus den Noten der jungen Studentin massiv abgeschrieben hat, bricht Martins Welt zusammen. Die PR-Agentur schlägt derweil statt Martin Mulde eine iranische Nachwuchsdirigentin als künftige Chefin des zu errichtenden Kulturzentrums vor. Das wäre eine Idealbesetzung für den Kulturbetrieb einer diversen Gesellschaft. Ein Epochenwechsel deutet sich an und: Weg mit dem alten, weißen Mann!

Zwei Stücke in einem

In diese deutsche Kulturparabel verschränkt sich das rumänische Umweltdrama. Für die fünf Akteure der „Elbfuge“ funktioniert dies wie eine psychologische Spiegelung. Hier nun spielt der Martin-Mulde Darsteller Moritz Dürr einen milde korrupten Bürgermeister. Der PR-Chef der rumänischen Immigrantin ist hier der idealistische Gutmensch Florin, der am liebsten den verseuchten Boden abtrüge um eine Ökofarm zu errichten. Und hier ist die dereinst nach Deutschland emigrierte Bürgermeistertochter Lea zwar immer zu hehren Hilfszusagen bereit, nicht aber, ganz konkret einer alten Freundin bei der Ausreise zu helfen. Fünf Akteure, neun Figuren, zwei gesellschaftliche Sittenbilder, das Ganze in 80 Minuten. Da gerät so manches, was hier vom kleinen Dresdener Ensemble vorgeführt wird, zum Abziehbild, zur Allegorie modischer Verhaltensmuster. Und die Debatte um das neue Musikzentrum endet in einer Farce, in der Karikatur des Inklusions- und Gendersprechs der urbanen Eliten. „Deshalb ist es unser ganzes Streben, dass das Zentrum für neue Musik eine in jeder Hinsicht inklusive Institution ist. Wir wollen Musik demokratisieren. Wie werden im Orchester eine Frauenquote einführen. Wir werden Chöre für Einwanderer, für Autisten und Asexuelle anbieten.“

Die PR hat gesiegt, die von Martin Mulde nur noch behauptete, alte Welt genialischer Künstler ist untergegangen, der Kulturbetrieb ist inklusiv, aber dabei ist aus der Kunst Sozialarbeit geworden. Die Wertekorruption, der Verrat an der unbedingten Kunst, ist nicht mehr ein individuelles Vergehen, sondern eine gesellschaftliche Übereinkunft. Also wieder einmal: eine modische Dystopie.
In Arpad Schillings „Elbfuge“ ist die Sprache floskelhaft, Figuren funktionieren als Programme: Die ehrgeizige Karrieristin mit Migrationshintergrund, das junge Talent, das am eigenen Ehrgeiz zerbricht, der egomanische Künstler, den die Inspiration verlassen hat. Alles das wäre Material für eine Komödie. Aber die ist Arpad Schillings Sache nicht; er schwankt unentschieden zwischen dem hehren Ziel, den Menschen im psychologischen Scheitern an den eigenen Idealen zu zeigen und der grimmigen Satire einer Gesellschaft, die an der Summe der Egos zerbricht.