Bob Wilson – Endspiel

Bob Wilson inszeniert „Endspiel“ am BE

Es ist noch nicht zu Ende

Bildertheater trifft auf Endzeitparabel und das ergibt wunderhübsche Pirouetten im abgezirkelten Kunstraum. Aber wirklich berühren können nur zwei alte Akteure in ihren Mülltonnen.

Von Eberhard Spreng

Deutschlandfunk – 04.12.2016

Das Berliner Ensemble (Foto: Eberhard Spreng)

It must be nearly finished…

„It must be nearly finished“ schreit eine Stimme aus den Lautsprechern, unterbrochen von katastrophischen Geräuschen, dann hebt ein klinisch weißes Licht das karge Bühnekarree in ein abgehobenes Wolkenkuckucksheim. Ein neuer Tag beginnt: Clov paradiert in den gewohnten abgehackten Wilsonschen Bewegungsmustern durch den Raum, hin zu seinem Herren im Rollstuhl und zieht ihm ein großes schwarze Tuch vom Kopf. Und dazu ertönt aus dem Off das Geräusch einer heftigen Böe. Soviel Wind machen können keine Menschen, das können nur die Götter. Hier wie in einigen anderen Momenten der kurzen, eineinhalbstündigen Aufführung kommt der Verdacht auf, dass in diesem Raum nicht letzte Menschen die Agonie einer untergegangenen Welt erleiden, sondern dass im leidigen Zusammenwirken von Knecht Clov und Herr Hamm eine Anti-Schöpfung ihren Gang geht. Hier geht nicht das Heile kaputt, sondern das Kaputte ist im Werden, als eine Erfindung von zwei irren Clowns.

Stakkato – Slapstick – Pling Pling

Die beiden kleinen Fenster, durch die Clov bei Beckett gelegentlich in eine zerstörte Welt hinausblickt, sind hier nur zwei Leuchtrahmen und die Leiter, mit der er zu ihnen emporklimmt, ist hier nur eine kleines Modellchen an der Vorderbühne, das er mit seinen Fingern erklettert. Giorgios Tsivanoglou schwankt, stolziert, trippelt, bravourös in seinen weiten schwarzen Hosen über die Bühne, stößt sich – ein running gag – an einem zu tiefen Türrahmen den Kopf, schiebt den bombastischen Rollstuhl seines Herren mal hierhin, mal dorthin, immerfort in Stakkato-Bewegungen des Slapsticks, mit eckigen Richtungswechseln, die ein obstinates Triangel-Pling begleiten. Er ist der einzige, der sich hier noch bewegen kann; Herr Hamm, blind und lahm, ist von ihm abhängig, aber Clov, des Dienens müde, ist es auch, denn nur Hamm weiß, wie der Speiseschrank aufgeht. Die Beiden, der Inbegriff eines symbiotischen Dilemmas.

Das Taumpaar: Traute Hoess und Jürgen Holtz

Im Bühnenboden sind statt der beiden Mülltonnen, die Beckett für Hamms Eltern vorsieht, nur zwei Öffnungen eingelassen und aus denen taucht mit Traute Hoess als Nell und Jürgen Holtz als Nagg ein Traumpaar in diesem Wilsontheater auf: Zum Geklimper eines verstimmten Klaviers fingern ihre weißen Hände am Rand der Bühnenöffnung, und dann erscheinen ihre Köpfe.

Ich werde dir den Witz vom Schneider erzählen

Warum?

Um dich aufzuheitern.

Er ist gar nicht lustig.

Er hat dich immer zum Lachen gebracht. Beim ersten Mal habe ich geglaubt, du würdest sterben.

Vor allem Jürgen Holtz gelingt in mathematisch genau getimter und sprunghafter Mimik die ergreifende Karikatur eines Greises. Es ist so, als würde da in ein immer wieder erstarrendes Puppentheatergesicht schubweise das Leben zurückkehren. In seinem Spiel ist das mechanische Theater des Bob Wilson in Perfektion zu verfolgen. Im Paar der Alten wird der Verfallsprozess wieder zum Thema. Es gibt in diesem weißen Raum mit den transparenten Wänden eben auch die Erinnerung an das gewesene, glücklichere Leben und die Erkenntnis eines körperlichen Zerfalls, des Hörens, des Sehens, des Gebisses.

Autor und Regisseur im kongenialen Kunstraum

Von der Welt da draußen, die wahrzunehmen Clovs Privileg ist, bleibt diese weiße Hölle lange verschont. Dann aber schleicht die Ratte, die Clov in der Küche gesehen hat, als zwei Meter großes Stofftier hinter der Rückwand entlang, schaut einmal leicht zu den Menschlein herüber und verschwindet. Einmal werden, in Grautönen, die Wellen des Meeres über den gesamten Raum projiziert und schließlich, ein duftig hingetupftes Menetekel, das Bild eines abschmelzenden Eisberges. Eine postatomare Katastrophe mochte der historische Hintergrund bei der Entstehung des Stückes sein; dieses zarte Bild des Eisbergs die heutige Version als klimatisches Debakel. Die Katastrophe in diesem Spiel überlässt Wilson, wie auch am Anfang, eher dem Ton, denn noch bevor sich der Blick auf das Bild vom Eisberg weitete, verhängte eine gewaltige Jalousie die Bühne. Jetzt dröhnt eine Weltuntergangs-Soundkulisse auf, und der Hamm des Martin Schneider spricht im Stakkato seinen Monolog vom Ende der Dinge. Gleichwohl, eine Revue der heute wieder aktuellen dystopischen Zukunftsentwürfe, für die Beckett letzte Spielanweisungen entwarf, ist diese voraussichtlich letzte Wilson-Arbeit am Berliner Ensemble nicht. Aber Becketts pures Spiel, das auf logische Erzählstränge verzichtet und seine Akteure in Spiralen mit leeren Handlungsritualen dem Untergang entgegen treibt, passt gut zur ausgestellten Spielmechanik des Wilsontheaters. In vorangegangenen Arbeiten sah manches wie Kunsthandwerk aus. Seine Theaterfiguren wurden dabei allzu leicht zu Figurinen im Schaufenster. Hier treffen sich Autor und Regisseur in einem kongenialen Kunstraum, allerdings einem, in dem keine Philosophie herrscht, nur Mathematik.