Ein-Bericht-für-eine-Akademie-am-Gorki-Theater

Kafka am Gorki-Theater
Der fahrige Affe
von Eberhard Spreng

Nach seiner ersten Inszenierung am Gorki-Theater im Jahr 2018 befasst sich der in Bosnien geborene Oliver Frljić mit Kafkas „Ein Bericht für eine Akadamie“. Der Affe Rotpeter soll da über seine Menschwerdung berichten.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 09.02.2019 → Beitrag hören

Der nackte Affe vor der Bücherwand
Foto: Ute Langkafel

Vor einer hoch aufragenden Bücherwand stehen zwei alte Ledersessel und in einem sitzt, gemütlich an der Pfeife saugend, Jonas Dassler. Den Kopf hat er leicht zur Seite geneigt, der melancholische Blick geht in die Leere. Aber in dieser Weltvergessenheit stecken Reste eines vergangenen Seinszustandes. In einer meisterhaften Miniatur spielt der Schauspieler hier einen Menschen, der einen Affen spielt, der einen Menschen spielt. Subtile Nuancen in den minimalistischen Bewegungen lassen den Affen durchscheinen. Derweil doziert Sesede Terziyan im Zuschauerraum darüber, wie Menschen mit Tieren in der Massenzucht umgehen. „Wenn ich zu Ihnen über das Thema Tiere spreche, will ich Sie mit der Schilderung der Schrecken ihres Lebens und Sterbens verschonen. Obschon ich keinen Grund zu der Annahme habe, dass Ihnen deutlich vor Augen steht, was Tieren in diesem Augenblick überall auf der Welt angetan wird“

In einer ziemlich verworrenen Gedankenverkettung springt der Vortrag dann zum Vernichtungslager Treblinka und dem industriellen Massenmord von 1942 bis 1945. Dieser krude Kurzschluss entsteht hier beim Zitieren von Elizabeth Costello, der Hauptfigur eines Romans des südafrikanischen Nobelpreisträgers John Maxwell Coetzee. Frljićs Stückvorlage hat diesen, neben weiteren Fremdtexten in seine Rotpeter-Kollage eingestreut. Der Bericht über die Menschwerdung eines in Afrika angeschossenen, dann in eine Kiste gesperrten Affen, der sich durch forcierte Lernprogramme der Menschenwelt anpasst. Und mit Beginn der dem Kafka-Text entlehnten Handlung verwandelt sich Dassler gestisch zurück in einen Affen, und aus der Bücherwand stürzt eine Gruppe von schwarz gewandeten Menschen mit Hüten hervor, jederzeit bereit, während der Intelligenztests, die man nun an dem Affen ausführt, in ein höllisches Geschrei zu verfallen. Jederzeit auch bereit, ihn zu misshandeln und während dessen mit banalem Menschenwissen zu füttern. Aber das ziemlich bildergrelle Geschehen ist nur das Warmlaufen eines aufgedrehten Gorki-Ensembles, das nun auch Herr und Frau Hagenbeck aufbietet und deren Tochter Josefine, die Lea Draeger als märchenhaftes Rätsel vorführt. Heiraten sollen Rotpeter und Josefine und die Akteure lassen es komödiantisch krachen, wenn sie, statt zum emblematischen Kuss zusammenzukommen, nur ihre Zungen wild zucken lassen.

Das komplette Gorki-Ensemble der Kafka-Produktion
Alles bereit für die Hochzeit von Rotpeter und Josefine (Foto: Ute Langkafel)

Natürlich soll der Zuschauerraum hier eins sein mit der Kafka-schen Akademie, vor der der Affe Rotpeter artig Zeugnis ablegt von der gelungenen Menschwerdung. Für das Theater heißt das natürlich, dass es sich dem Zuschauer in seiner verborgenen tierischen Natur offenbart und ihn zum Voyeur einer Show macht, wie dereinst vor gut hundert Jahren, als die Zurschaustellung von Affen und anderen Tieren und auch Menschen aus fernen Ländern  Mode war. Also grelle Groteske, krasse Komik, Schaustellerei. Auch nackte Männer werden dargeboten und diesmal auch mit einem fulminanten Vormarsch in die Zuschauerreihen, wenn Aram Tafreshian sich als Tierhändler Carl Hagenbeck zur Selbstfeier seiner Taten aufschwingt: „Der Name Hagenbeck steht für Innovation, Forschergeist, Menschlichkeit. Carl Hagenbeck hat die gitterlosen Freigehege erfunden.

Die Rechtfertigung eines Mannes, der wie kein Zweiter Profit gezogen hat aus der Ausbeutung des Tieres, widerlegt von der simplen, tierischen Nacktheit seines Menschenkörpers. Kontrapunkt ist da das von seinem üppigen Fell bestens bekleidete Pavianweibchen Jeany, das auf die Bühne geführt wird, das Treiben des Homo Sapiens lässt sie ziemlich kalt. Tierische Pseudo-Authentizität inmitten einer affigen Menschheit. Bekleidete Natur versus nackte Kultur. Na ja. Die gnadenlose Anpassung und panische Einübung von Kulturleistungen bringt Rotpeter dank Oliver Frljićs wilder Kollage bis in den Bundestag. Es gehört zur dramaturgischen Rätselhaftigkeit dieses Abends, dass es wiederum nicht Jonas Dassler ist, der im Schlussbild im als Käfig gestalteten Modell des Reichstagsgebäudes hockt, sondern Äffin Jeany. Vorher war kurz mal, hinter der Folie greller Showeffekte, von etwas Hintersinnigeren die Rede. Da begegneten sich Protagonist und Autor Kafka und der sagte seiner zunächst ob des Besuchs ziemlich ungehaltenen Kreatur: „Ich denke an das Schreiben als eine Möglichkeit – im Rausch aller Worte – etwas Unerzähltes zu hinterlassen. Das Echo des Unerzählten ist das, was mich interessiert.“  Wie alles Wichtige, ist auch dieses in Frljićs Arbeit nur leise so daher erzählt. Und danach stürzen die Bücher recht hübsch und laut aus den Regalen. Das ist das Ende der Literatur als Ordnungsmacht einer zerbrechlichen Menschheit. Wie so oft bei Frljić, legen sich die lauten Bilder über die leisen, verwirrten Gedanken.