Falk-Richter-kollagiert-Schauspielerbiografien-zur-Politrevue-„Verräter-Die-letzten-Tage“

Falk Richter am Gorki-Theater
Schrankschwule im La La Land
Von Eberhard Spreng

Falk Richter erkundet anhand der Lebensgeschichte seiner sechs Akteure biografische Brüche und Widersprüche. Vor dem Hintergrund der immer bedrohlicheren Macht rechter Bewegungen in Europa fragt „Verräter – Die letzten Tage“ nach dem Herrschaftscharakter der Sprache und kollagiert diverse aktuelle Weltphänomene zu einer politischen Revue mit langsam schwindender Unterhaltungskraft.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 29.04.2017

Das Gorki-Theater nahe der Neuen Wache
Das Gorki-Theater nach der Vorstellung. (Foto: Eberhard Spreng)

Mareike Beykirch steht vor einer gewaltigen Videoprojektion mit einer majestätischen Fahraufnahme, auf der eine graue deutsche Winterlandschaft vorbeizieht, der Himmel verhangen, die Felder gepflügt, einzelne Baumgruppen – Tristesse pur. Und sie erzählt vor ihrer Heimat in Sachsen-Anhalt, von Ballenstedt und seinen Plattenbauten, ihrer Familie, für die sie sich schämt. Da gibt es nur Rentner, Hartz4ler und Neo-Nazis, eine Welt, in die Mareike selten zurückkehrt. Sie hat sie hinter sich gelassen. Ist das Verrat an Herkunft und Identität? Der in Berlin geborene Mehmet Ateşçi ist mit seinem Freund gerade in Istanbul, als dort im letzten Sommer der Putsch stattfindet. Er erzählt, wie er in der darauf folgenden nationalistischen Pogromstimmung die Hand seines Freundes zurückweist, um nicht als schwul identifiziert zu werden. Ein Verrat an seiner Liebe? Zu den Videoüberblendungen von alten Istanbuler Häusern und verschwommen umherwirrenden Menschenmassen greift er zum Mikrophon.

Links und rechts der Bühne hängen Plakate: Von den Ramones, den Sex Pistols, von Madonna und auf der linken Vorderbühne ist ein Schlagzeug aufgebaut; und immer wieder eilen die Akteure nach ihren monologischen Einblicken ins Autobiografische zu den Instrumenten und rocken zu dem punkigen „Wer hat uns verraten: Christdemokraten“ und anderen Songs. Eine Revue also.

Biographie als Material

Was in den Erzählungen der Gorki-Akteure authentische Biografie ist, was stückdienlicher Diskurs, bleibt an diesem Abend immer in der Schwebe. Knuts Gelsenkirchener Familie Berger: sogenannte Ruhrpolen. Die Eltern haben ihren Namen geändert, um ihre polnische Herkunft zu tilgen. Immer wieder ist von Brüchen die Rede, in denen biografischen Linien andere Entwicklungsrichtungen gegeben werden. Erhebliche dramaturgische Mühen hat das Stück „Veräter – die letzten Tage“ allerdings da, wo es anschließend versucht, aus der eigenen Identitätserkundung zur Entstehung der neuen rechten, paternalistischen Ideologien zu kommen, von der AfD, über Trump, Putin, zum Front National. Es folgt Didier Eribons „Rückkehr nach Reims“ und dessen Versuch, die individuelle Biografie als soziologische Studie anzulegen. Mal klingen Falk Richters Texte wie René Pollesch, wenn er fragt: „WAS IST DAS? das hier, dieser Körper, in den wir hineingeboren werden?“, mal nach Gorki-Regie-Kollegin Yael Ronen, wenn Daniel Lommatzsch ein Musical im Stile von La La Land entwerfen und dafür der Israelin Orit Nahmias eine Rolle aufdrängen will, die seinen Antisemitismus bedienen soll. Das ist Diskurstheater als Karikatur. Sprache, so sollen wir begreifen, ist das Instrument, das mit seinen Definitionen und Zuschreibungen unsere Freiheit ruiniert, uns Identitäten aufzwingt, Herrschaftsysteme begründet. Auch im Dienst einer ironisch gebrochenen, politischen Korrektheit.

– Diskussionen finden hier nicht mehr statt. Denkverbote, Sprechverbote.
– Daniel, kannst du einmal richtig gendern! Diese Them*innen sind alle so mit Sprechverbot*innen vermint, heißt das, verdammt nochmal, wie oft soll ich dir das noch erklären? Denkverbot*innen, Sprechverbot*innen.
– Okay, diese Dialog ist weder witzig noch intelligent, noch bringt er uns hier weiter, wir hatten vorhin schonmal festgestellt, dass DIALOGE in diesem Stück keinem Platz mehr haben sollten. Dialoge sind nicht mehr zeitgemäß. Menschen reden nicht mehr miteinander.

Die Welt entzieht sich der Sprache

Alles Schreiben muss Scheitern: auf der hügeligen Abraumhalde, die das Dekor bildet, stehen kleine Tischchen mit Hockern und da wird eifrig gekritzelt, bevor Blatt für Blatt verworfen wird und auf dem Boden landet. Immerhin geht es ums Ganze: Politiker und der Untergang der Imperien, Sexualität, das System und die Unfreiheit, der Einzelne und die Gesellschaft, der Epochenwechsel und die neuen Rechten in Europa. Da reibt sich ein Stück an seinem Gegenstand auf, umkreist ihn und startet immer wütendere Attacken gegen das Erstarken eines neuen-alten Männerbildes. Jetzt wird eine Waldlandschaft auf die Rückwand projiziert und von Männerhorden ist die Rede, die im Krieg eine neue Gesellschaft schaffen, eine ohne Frauen. Jetzt ist Richters Wut unverstellt erkennbar: Es ist die Wut des Homosexuellen auf all die zahllosen herrschsüchtigen Schrankschwulen, bei denen sich unausgelebte sexuelle Energie in eine intolerante, fremdenfeindliche, nationaltümelnde Aggression verwandelt. Als Gegenbild ist ihm Kommunardenkitsch eingefallen. Ein Video zeigt das Ensemble, halbnackt verknäult, sie haben sich Trump- und Putinmasken aufgesetzt, spielen kindlich mit dem politischen Dämon: Befreiung der Köpfe als Befreiung der Körper. Natürlich ist auch das, wie manches andere, selbstironisch; ein Spiel mit Bildern und Worten, und viele davon sind im Falk-Richter-Universum alte Bekannte. „Verräter“, ein Politkabarett, das allerdings im Verlauf der Aufführung immer mehr an Unterhaltungswert verliert.