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Isabelle Huppert spielt Maria Stuart
Reden gegen den Lärm der Welt
von Eberhard Spreng

Deutschlandfunk, Kultur Heute, 23.05.2019 → Beitrag hören

1993 feierten Bob Wilson als Regisseur und Isabelle Huppert als Akteurin mit „Orlando“ einen großen Erfolg. Der afro-amerikanische Romancier Derryl Pinckney hatte damals Virginia Woolfs Text adaptiert. Nun finden Autor, Regisseur und die Schauspielerin wieder zusammen: „Mary said what she said“ wird am Pariser Théâtre de la Ville uraufgeführt.

Isabelle Huppet im opulenten Renaissancegewand
Foto: Lucie Jantscht

Lange Zeit steht eine Silhouette im üppigen Renaissancekleid vor einer großen weißen Fläche. Milde Lichtwechsel deuten dort atmosphärische Änderungen an, Dämmerungen, leichte Farbverschiebungen. Dann konturiert ein Spitzlicht die kunstvoll hochgesteckten Haare und viele weitere Minuten später wird auch das Gesicht sichtbar. Das ist, als diese Mary Stuart von ihrem James Bothwell spricht, ihrem illegitimen Geliebten, der wohl gemeinsam mit ihr den Ehemann Lord Darnley ermordet. Als sie ihn dann auch noch heiratet, bringt ihr das eine Revolte der schottischen Clansanführer ein. “Sache que ce que je fais je le fais pour toi, pour avoir le confort de ton épaule, de tes épaules, de ta solidité, James, de ton odeur, celui d’un homme qui peut tuer.”

Zu den schnellen Streicherklängen des Pop-Komponisten Ludovico Einaudi hetzt Starschauspielerin Isabelle Huppert in diesem ersten Teil durch ihren Text. Maria Stuart, dieser in Frankreich erzogene Renaissancemensch, im Sturm der europäischen Intrigen und im Orkan der eigenen Leidenschaften, erlebt als erstes im kalten Schottland einen schlimmen Kulturschock. Was Friedrich Schiller in seinem großartigen Stück, und Stefan Zweig in seiner exzellenten Biografie erläuterten, war eine einzigartige Verflechtung von privater Leidenschaft, gesellschaftlicher Umwälzung und politischer Intrige. Aber der afro-amerikanische Autor Darry Pinckney interessiert sich dafür eher nicht. Sein poetisch subtiler Prosa-Monolog beleuchtet private Details, biografisch Anekdotisches, fixe Ideen entlang einiger Leitmotive, wie dem der vier legendären Marys. Das sind adelige Namensschwestern, die der künftigen Königin seit der Kindheit zur Seite standen. Leider ist in der bemühten französischen Übersetzung von der in Andeutungen sich vortastenden Erzählung nur eine behäbig-kunstwollende Prosa übrig geblieben. Bob Wilson benutzt sie hier noch mehr als in bisherigen Arbeiten lediglich als Material. Isabelle Huppert hat also nur eine relativ stumpfe Waffe beim Kampf um die akustische Bühnenhoheit. Die sehr laut eingespielte Musik des italienischen Komponisten ist ein Resümee der derzeit in Film und Fernsehen vorherrschenden Klangwelt: Gefällig-banale Harmonik und pulsend auftrumpfende Rhythmik, mit gelegentlich zur Beruhigung der Nerven eingefügten elegischen Passagen. Zunächst stemmt sich die Actrice bewegungslos gegen dieses musikalische Lärmen der Welt, dann skizziert sie auf völlig leerer Bühne einige elegante, höfische Tanzschritte. Später wird sie regelrecht zu einer von der Musik Getriebenen, schreitet hastig in einer Diagonalen vorwärts und rückwärts, wirft dazu die Arme in die Luft, mit zerstörtem Gesichtsausdruck, zur Hälfte noch Ärger, zur Hälfte schon Verzweiflung. Erst gegen Ende sind ihr Momente einer Stille vergönnt, die allerdings von der sehr vernehmbaren Lüftung im Ausweichspielort des Théâtre de la Ville kontaminiert wird.

“Mon visage ne sera pas affligé quand j’arriverai à ce qui fait deux pieds de haut et douze pieds de long. Ce vers quoi je vais aura une rambarde autour et sera couvert de noir.” Das schreibt Mary Stuart in einem der letzten von zahllosen Briefen, die sie in ihrer Gefangenschaft im Fotheringhay Castle verfasste. Sie spricht von der Unerschütterlichkeit, mit der sie sich dem Schaffott stellen will.

Porträt Isabelle Huppert
Isabelle Huppert (Foto: Peter Lindbergh)

Das Rendez-Vous von Weltschauspielstar Isabelle Huppert und Weltgeschichtsstar Maria Stuart bleibt eine etwas leerlaufende theatrale Installation, die sich brav am langen Text abarbeitet und sich von einem Mainstream-Soundtrack überfluten lässt. Aber dann finden Regisseur Bob Wilson und Schauspielerin Isabelle Huppert, die 1993 einen gefeierten „Orlando“ zu Stande brachten, doch noch in einer kleinen geheimnisvollen Miniatur zusammen: In einer zauberhaften, von Theaterwolken verhangenen Szene, steigt Bob Wilson aus dem Lärm der Welt und dem Geschwätz des Textes aus: Er inszeniert eine Maria wie im Jenseits, mit Wilsons Stimme und dem eines Kindes und den Lauten eines Sprachlosen: “My name is … Je m’appelle … pas là … My name is … Bertrand … Sir Glasgow …”

Porträt Bob Wilson
Der Regisseur Robert Wilson (Foto: Yiorgos Kaplanidis)

Die Szene ist vorweggenommene Ewigkeit, die Geburt der Sprache aus Urlauten der menschlichen Stimme und Versuch des Ich, sich in ihr zu erfinden. Und es ist eine Erinnerung an die Anfänge von Bob Wilson, der zunächst mit Kindern mit Behinderung arbeitete und einen gehörlosen Jungen adoptierte. Diese eingefügte Szene ist auch als Verbeugung vor dem Théâtre de la Ville zu verstehen. Denn an diesem Theater fand 1971 seine französische, europäische und internationale Entdeckung statt, mit dem Stück „Deafman Glance“, „Der Blick des Tauben“, das von seiner pädagogischen Arbeit inspiriert worden war. In den USA war das siebenstündige Bildertheaterstück durchgefallen; seine französische Entdeckung wurde der Start der internationalen Bühnenkarriere des gebürtigen Texaners.