Pascal-Rambert-inszeniert-sein-Stück-„Architecture“-mit-Starbesetzung

Festival d’Avignon
Das Scheitern der Intellektuellen
von Eberhard Spreng

Zum Auftakt des 73. Festival in Avignon liegt der Fokus auf einer zeitgenössischen Dramatik, die große Zeitgeschichte in den Blick nehmen will. Den Anfang macht dabei Pascal Rambert, der sein Stück „Architecture“ im Papstpalast urinszeniert.

Deutschlandfunk, Kultur Heute, 05.07.2019 → Beitrag hören

Patriarch mit Töchtern und zweiter Ehefrau
Foto: Christophe-Raynaud De Lage/Festival d’Avignon

Dass sie mit ihren Worten die Welt untergehen lassen können, dass Welt verschwindet, wenn Sprache vergeht, das haben sich stolze Schriftsteller immer wieder vorgestellt. Ein alter abendländischer Mythos: Welt soll entstehen, wenn Sprache spricht, Welt soll vergehen, wenn die Sprache zerfällt. Nichts anderes will Autor und Regisseur Pascal Rambert, dessen vierstündige Familiensaga um einen alternden Architekten im großartigen Papstpalast das Festival eröffnet hat. Die Welt der Intellektuellen und Künstler im Untergang der KuK – Monarchie soll erzählt werden, genauer die Zeit vom 1911 bis zum so genannten „Anschluss“ an Nazi-Deutschland 1938. Auf besondere wienerische Einfärbungen hat Rambert allerdings verzichtet: Es ist eine weiße Bühne, auf der das Ensemble in weißer Eleganz auftritt. Der Architekt und seine zweite Frau, seine Töchter und Söhne und deren Ehefrauen und Ehemänner. Und Stan, einer der sich auflehnt gegen den patriarchalische Familiendiktator und gegen seine Geschwister und deren opportunistische Unterwerfung. „Nous allons vers l’attractive catastrophe au cannibalisme de notre continent nous allons nous entredévorer cela a commencé avec l’homme à genoux et vous tous à genoux.“ Der Kontinent geht unter im Kannibalismus und diese Katastrophe beginnt damit, dass ihr alle niederkniet, sagt der großartige Stanislas Nordey in der Rolle des revoltierenden Sohnes. Architektenpatriach Jacques hatte die Kinder bei einer Griechenlandreise aufgefordert, vor dem Parthenon andachtsvoll niederzuknien. In der Anbetung der erhabenen Kunst steckt hier schon der Keim des barbarischen Untergangs. Unflätige Laute hatte dieser rebellische Sohn ausgestoßen, als dem Vater für sein Lebenswerk eine Ehrung verliehen wurde. Mit der Auseinadernsetzung darüber beginnt das Stück und mit einer wortreichen Suada des Vaters, der von Schauspielstar Jacques Weber verkörpert wird. Pascal Rambert lässt ein Starensemble antreten. Denis Podalydes spielt einen skurrilerweise stotternden Komponisten, in dessen Klangkunst schon die Moderne Einzug gehalten hat. Laurent Poitrenaux einen leicht zynischen Journalisten, der sein Fähnchen nach dem sich ins Militärische und Nationalistische wendenden Wind hängt. Und die großartige Emmanuelle Béart verkörpert eine frustrierte Offiziersgattin und ihren Wunsch nach unbedingter Liebe. „Ce que je vois dans les corps c’est une forme de folie de la collectivité le corps social est malade nous sommes tous touchés je sens que mon corps devient fou mon corps comme tout corps a besoin d’amour.“

Kollektive Verrücktheit, die zur Krankheit der Körper führt

Die Krankheit der Epoche wird zur Krankheit der Körper, sagt Emmanuelle. Die politische Katastrophe wurzelt in verkrusteten Familienstrukturen, falscher Herrschaft, falscher Unterwerfung. Das Paar und die Ehe scheitern historisch und politisch. Nur dem seinerseits unglücklich verliebten, dem revoltierenden Homosexuellen wird eine Haltung zugestanden, die nicht aus dem Rückzug ins Private besteht. Aber die Lehren des großwollenden Textes verhallen folgenlos. Denn Pascal Ramberts Personen sind nur Figurenskizzen im Familiendrama. Unversehens werden sie zum Vehikel für gedankliche Konzepte, scheren aus dem Psychosystem aus in lange poetische Exkursionen. Am Ende haben alle auf einer langen Tafel vor sich einen Macbook aufgeklappt und lesen sich nacheinander den Tod vor, den sie sich für je eine oder einen anderen ausgedacht haben. Dramaturgie als purer Mutwille: Das dramatische Personal entsorgt sich gegenseitig selbst.

Vor allem aber gelingt nicht, was doch in allen Vorankündigungen zu lesen war: Dass hier der Untergang der Epoche als ein Untergang der Sprache erzählt werden soll. Auch entstehen für diese Figurenkonstrukte und ihr historisches Scheitern für das Heute keine Resonanzräume. Natürlich hätte man gerne aus der Geschichte erfahren, warum die intellektuellen Eliten an Veränderung in Politik und Gesellschaft heute wieder scheitern. Denn die scheinen angesichts des wachsenden politischen Erfolgs autoritärer, patriarchaler Führungsfiguren genauso ratlos wie Pascal Ramberts Künstlerfamilie der 1910er bis 1930er Jahre. So bleiben, als isolierte Momente des Theatervergnügens einer warmen Sommernacht: Einzelne schauspielerische Glanzleistungen.