Schlammland-Gewalt-von-Ferdinand-Schmalz-uraufgeführt

„schlammland gewalt“ am Deutschen Theater
Apokalyptischer Materialismus
von Eberhard Spreng

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 23.12.2017

Der Bachmannpreisträger Ferdinand Schmalz hat mit seinem Monolog „schlammland gewalt“ ein ungemein dichtes Sprachwerk über den Ausbruch von Gewalt in einer engstirnigen Dorfgemeinschaft vorgelegt. Die Uraufführung an der Box des Deutschen Theater erkundet aber nur einen, eher formalen Aspekt des Textes.

Vier Performer sind für dieses Oratorium auf der Bühne
Foto: Arno Declair

„Und ist der ganze bergsattel von einem weißen schleier überzogen dann, dass man kaum weiter sieht, als seine eigenen arme reichen, und jeden schritt den man jetzt tut, setzt man hinein ins ungewisse.
Eine Art Prolog hat Ferdinand Schmalz kurzfristig seinem Stück vorangestellt. Es ist eine Reise in einer nebelverhangener Berglandschaft, in der der Wanderer auf der Suche nach einer nahe geglaubten Ortschaft im Kreis umherirrt. Man mag das als eine weiße Vorhölle verstehen, der im eigentlichen „schlammland gewalt“ das derbe, grellbunte Höllengeschehen nachfolgt. Denn in der vom Bierdunst und der Hendlbraterei gesättigten Festzeltatmosphäre brechen sich all die Triebe, Hassgefühle und Herrschsucht Bahn, die im Dorfalltag kaschiert werden können. Da ist der Zeiringer, offensichtlich das Alphamännchen in der Dorfgemeinschaft, und sein Verwalter Schauersberger, ein Mensch mit einem geradezu tierischen Gespür für alles, was vom engen, rechten Weg abweicht. Für die Beiden, so sagt der Text, ist Ordnung aus Gewalt gemacht und sie sind jederzeit bereit, diese anzuwenden.

Der Hass auf die Andersdenkende

Und da ist Sandra, die gleich zu Beginn des Prosatextes, und so als sähe sie den Untergang voraus, von einer Schlammlawine spricht, die die Versammelten vernichten werde. Buchstäblich mit einem Brathendl stopft nun der macht- und ordnungsbesessene Zeiringer einer solchen Kassandra das Maul, bevor die in die verregnete, finstere Nacht hinauswankt. Aber genau dieses Mädchen liebt Zeiringers Sohn Toni, der sich nun auch nach draußen stiehlt, da wo in der kurzen Erzählung des Ferdinand Schmalz der Kontakt mit den wahren, tiefen Gefühlen und Erfahrungen möglich ist. Derweil fängt drinnen die Kapelle wieder zu spielen an und das Feiern der Opportunisten geht weiter. „von dem drehen und dem braten duselig, entgeht den mädchen ganz der mangel, der der allgemeinen brautschau angetan durch dieses fehlen von dem dorfprinzenkörper, der dem toni seiner ist.

Regisseur Josua Rösing lässt den Text im Wechsel, mitunter  auch chorisch von drei Schauspielern sprechen, die ein Schlagzeuger sporadisch begleitet. Hier wird nichts nachgespielt, hier wird lediglich die mit suggestiver Energie nach vorne drängende Prosa weiter rhythmisiert und in ein Oratorium verwandelt. Der Text hat viel von der sozialen Enge der Jahrmarksszenen eines Ödön von Horvath, aber auch von der Körperlichkeit des früh verstorbenen Dramatikers Werner Schwab. Der Bachmannpreisträger Schmalz behandelt die menschliche, tierische, und mineralische Substanz gleichberechtigt, angetrieben von Trieben und Instinkten und erzählt in einem orgiastischen Rausch derber Bilder.  „wippt der ganze kühlwagen im takt des liebesspiels, dass all die hühner nun auch in bewegung kommen, und federn leicht sie mit, wackeln mit den kahlen flügelchen, als würden sie uns nachäffen, die toten hühner.“

Das Ich des Erzählers überlebt die Katastrophe nur durch Zufall

Der Ich-Erzähler erlebt das gewalttätige Dorffest übrigens aus der Perspektive des Hendlbraters. Für ihn hat der Text eine ironische, ja nachgerade schelmische Wendung vorgesehen: Eine Transgression des stickigen Geschehens mit seinem Mord und Totschlag. Er ist einer der drei Überlebenden eben jener Katastrophe, die seit den ersten Zeilen des Textes wie ein Menetekel über dem Dorffest liegt. Eine Muräne löst sich von den Bergen. Die Schlammlawine begräbt Bierzelt, Hendlkühlwagen, das Kreuz vor der Kirche und das ganze Dorf. Mit lakonischer Häme entsorgt der Autor den von Gewaltverhältnissen geprägten Berggemeinschaftskörper in der Naturkatastrophe. Wieder lässt er, wie auch im Theaterstück „Der thermale Widerstand“ seine Figuren im Naturelement untergehen, löscht im Überbietungswettbewerb der Energien die menschliche Gewalttätigkeit durch die natürlichen Urmacht. Solch gewaltige Ereignisse erzählt er, und das macht die Kraft des Textes aus, mit einer  distanziert wirkenden Gleichmut, die keinen Unterschied macht zwischen dem Höheren und dem Niederen. Sein apokalyptischer Materialismus kennt die Welt nur als Ursuppe, die Boshaftigkeit seiner Figuren kommt nicht aus ihrer Psychologie, sondern aus der Natur ihrer Existenz. Wie bei Büchner und seinem Woyzeck ist die Schöpfung als Ganzes ein Problem.

Leider hat Regisseur Josua Rösing seine Sprecher zu nachgerade penetrant erschrecktem Stieren ins Publikum angehalten, eine mimische Dramatik, eine aufgesetzte Dringlichkeit, die dem Groove des Textes eher schadet als nützt. Alle Akteure sind mit einem etwas merkwürdigen, hautfarbenen Ganzkörperkostüm bekleidet, vor das eine lange Schürze gebunden ist. Eine Abstraktion mit etwas diffuser Aussage. Und so sind dem Text nach der Uraufführung in der kleinen Box des Deutschen Theaters weitere Bühnenausdeutungen zu wünschen.