Stanislas Nordey – Erich von Stroheim

Emmanuelle Béart spielt am Straßburger Nationaltheater

Gemeinsam Einsam

„Erich von Strohheim“ von Christophe Pellet erkundet die Grenze zwischen Pornographie im Stile Pasolinis und dem psychologischen Porträt einer eiskalten Dreiecksgeschichte. Stanislas Nordeys Inszenierung ist wunderbar poetisch und transparent.

Von Eberhard Spreng

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 01.02.2017

Laurent Sauvage und Thomas Gonzales (Foto: Jean-Louis Fernandez)

Ein nackter Mann kauert auf einem Sessel, verloren auf der weiten Bühne, während das Publikum die Zuschauerränge füllt. Er ist einer von zwei Männern, die in der Dreiecksgeschichte von Christophe Pellet eine erotische Beziehung verbindet. Und sie heißen ganz einfach: Der Eine und der Andere – l’Un et l’Autre. Und dieser Andere hat sich ein Spiel ausgedacht: Er begrüßt seinen Freund zum so genannten Erich-von- Stroheim-Tag:

„- Bienvenue dans la journée Erich von Stroheim. Par quoi commence-t-elle ?
– Des documents administratifs à falsifier pour trouver un emploi.
– Où est le génie là-dedans ?
– Je truque la société puisque la société se fout de moi.“

Da will also jemand Papiere fälschen, um der Gesellschaft eins auszuwischen, die sich um seine Existenz nicht schert. Er reklamiert das Recht auf Selbsterfindung in einer kalten, abweisenden Welt. Das und fast nur das ist der Grund für einen Stücktitel, der auf den großen, skandalumrauschten Stummfilmschauspieler- und Regisseur Erich von Stroheim verweist, der sich für seine Einwanderung in die USA eine aristokratische Existenz erfand, eine Biografie, die mit seinen Träumen viel zu tun hatte und mit seiner Lebensgeschichte wenig.

Die Spielregeln bestimmt sie

Erprobt wird in der formstrengen Szenenfolge also, wie weit man gehen kann mit einem nach außen getragenen Selbstbild und wann es zerschellt an den Zuschreibungen der anderen, zumal der Sichtweise des Liebespartners. Während der „Andere“ genannte junge Mann mit nichts bekleidet ist als seinen Hoffnungen auf Selbstschöpfung, trägt der „Eine“ immerhin eine Jeans. Er ist Pornodarsteller im fortgeschrittenem Alter und kennt alle Tricks beim Schaffen der Illusionen für das Begehren der Betrachter. Und er ist seit langem liiert mit „Ihr“. Und sie ist eine erfolgreiche Firmeninhaberin, die, wie ihre Geschäfte, auch ihr Liebesleben im eng getakteten Terminkalender unterbringt und gewohnt ist, auch in Liebesdingen Anweisungen zu geben und Spielregeln zu bestimmen.

Emmanuelle Béart als eiskalte Geschäftsfrau (Foto: Jean-Louis Fernandez)

„Je te tiens en laisse. Tu n’a aucune liberté : tu ne peux pas cesser d’être là, debout ou couché, inutile et nu. Tu es une présence qui ne signifie rien. Tu es un personnage-objet. Mon objet. Tu n’as aucune incidence.“

Auftritt „Elle“: Emmanuelle Béart spielt die Frau mit der Entschlossenheit der Melancholikerin, so als wüsste sie ganz genau, dass im Spiel mit dem Liebespartner, in der Kontrolle über die Abläufe, zwar kein Glück zu holen ist, dass aber ihre persönliche Hölle losbräche, ließe sie ihm innerhalb der Beziehung Spiel- und Gestaltungsraum. Und nur einmal, bei einer Liebesszene mit dem Anderen scheint ein Hauch Zärtlichkeit möglich. Dann streicht sie kurz über den Oberkörper des jungen Mannes. Ansonsten tritt sie mit leerem Blick und leicht versteinertem Gesicht auf, im schwarzen Kleid, nicht im Business-Anzug.

Gefährliche Liebschaften als keusches Sprachkunstwerk

Emmanuelle Béart und Stanislas Nordey bei der Probenarbeit zu Christophe Pellets Stück.
Emmanuelle Béart und der Chef des Straßburger Nationaltheaters, Stanislas Nordey, bei den Proben (Foto: Jean-Louis Fernandez)

Wie ihre beiden Mitspieler – Laurent Sauvage spielt den Einen, Thomas Gonzales den Anderen  – ist auch sie bei aller Präzision in den psychologischen Entwicklungen eine abstrakte Figur. Das Bühnenbild ist nichts weiter als ein gewaltiges Dreieck, dessen Seiten zum Publikum hin aufklappen, um einen nüchternen grauen Raum anzudeuten, in den nur ein Hauch eines Details aus einer barocken Malerei aufprojiziert wird, wenn sie auftritt.

Stanislas Nordey, Chef des Straßburger Nationaltheaters, hat alles getilgt, was in diesem Stück pornografisch sein könnte, und wenn immer in Christophe Pellets Stück die Szenenanweisung „action“ auf Sexszenen hinweist, wird artig abgeblendet. Das sind gefährliche Liebschaften als keusches Wortkunstwerk, als philosophische Versuchsanordnung. Das ist wunderbar poetisch und behutsam: Im lautlosen Aufschwenken der Dekorelemente, im klaren unverschnörkelten Spiel, in der wie immer bei Nordey vorbildlichen Sprachklarheit. Natürlich ist Emmanuelle Béart ein traumhafte Besetzung, da der Filmstar, auf den ansonsten immer die Blicke gerichtet sind, hier derjenige ist, dessen Blick für andere zum Diktat wird. Und natürlich prima, dass ein Theaterabend, in dem es um den Mythos Stroheim, um Illusionen, Projektionen und Wunschbilder geht, auf Videos verzichtet.

Dann aber wird eine Schwäche des Stückes spürbar. Es will den jungen Mann, den „Anderen“ zum Spielball des Paares machen, ihn symbolisch als deren Kindersatz verstehen. Dessen Stroheim-Tag, der Erfolg qua Selbstschöpfung muss also scheitern. Christophe Pellet will etwas belegen, das er am Anfang in einem Schopenhauer-Zitat andeutet: Wo der Einzelne seine Einsamkeit in der Paarbildung überwinden und zu seinem Glück kommen will, schreibt sich doch eigentlich durch Fortpflanzung nur das Elend der menschlichen Existenz fort. Wo immer der Einzelne diesem Gesetz der Natur entkommen und sich selbst erfinden will,  scheitert er am Blick der Anderen. Der Beweisführung für diese nicht ganz so neue, abstrakte Erkenntnis opfert das Stück dann am Ende zu viel von seiner schönen psychologischen Genauigkeit.