Massimo Furlan – Hospitalités

„Hospitalités“ am Théâtre Vidy-Lausanne

Vom Kunstscherz zur Dorfwirklichkeit

In einem baskischen Dorf simuliert eine verschworene Gruppe Gastfreundschaft – als Kunstprojekt. Aber dann wird sie von der Wirklichkeit der Flüchtlingskrise überrascht und alle müssen Farbe bekennen.

Von Eberhard Spreng

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 13.01.2017 → Beitrag hören

Am Théâtre Vidy-Lausanne erzählen Basken von ihrem Kunstabenteuer (Foto: Laure Ceillier & Pierre Nydegger)

Ein langer Text erscheint auf der Videoleinwand zu Beginn der Aufführung. Es ist die Geschichte einer ziemlich einmaligen Konfusion von Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung in einem Dorf im französischen Baskenland. Das Dorf ist sehr pittoresk und hat das Label „Les Plus Beaux Villages de France“ verpasst bekommen, von denen es gut 150 im Nachbarland gibt. So was lockt reiche Zuzügler an, lässt die Immobilienpreise steigen und das macht den Ortsansässigen das Bleiben schwer. Solange bis Massimo Furlan ein paar weltoffene Verschworene aus dem Dorf um sich versammelt und ein Test startet, irgendwo zwischen Kunst und Sozialexperiment.

Alles beginnt mit einem Gerücht

Sie streuen das Gerücht, Flüchtlinge sollten im Dorf aufgenommen werden. Und das soll den Preisanstieg bremsen. Soweit der Scherz. Dagegen regt sich natürlich auch heftiger Widerstand, den „Wolf lasse man so in den Schafstall“ sagen dörflich, metaphorisch, die Gegner in dieser Realsatire. Plötzlich aber kommt das Jahr 2015 und mit ihm ein gewaltiger Flüchtlingsstrom aus dem Nahen Osten nach Europa. Die gastfreundlichen Verschworenen werden von der Wirklichkeit auf die Probe gestellt, denn nun stellt sich die moralische Frage, was dran ist an ihrer Kunstbehauptung von der Gastfreundschaft. Das ist die Ironie des Schicksals. Bislang hat nur die Kunst die Welt in dem 1000-Seelen-Dorf verändert, jetzt aber verändert die Welt die Kunst. Man gründet einen Verein, nimmt eine syrische Familie auf sowie die Eltern der Mutter, die des Vaters sollen noch folgen. Die Fremdenfeinde schweigen, die lieben Flüchtlingshelfer freunden sich mit den Syrern an, die Welt in la Bastide Clairence ist irgendwie heller geworden. Und das hat tiefere Bedeutung für Massimo Furlan.

„Das griechische Ursprungswort aber auch der französische Begriff Hôte unterscheidet nicht zwischen dem Gast und dem Gastgeber. Er meint den einen genauso wie den anderen. Meine Arbeit hat unsere westlichen Gesellschaften im Blick, die im Moment Probleme mit der Gastfreundschaft haben. Sie sind im Moment geradezu radikal und hysterisch in dieser Frage. Aber 240 Millionen Menschen sind nun einmal weltweit in Migration. 24 Menschen werden pro Minute heimatlos, d.h. 240 innerhalb der Dauer unserer Aufführung.“

Geflüchtete haben in La Bastide-Clairence Tradition

Neun Menschen aus dem baskischen Dorf stehen auf der leeren Bühne, eine Töpferin, der ehemalige Bürgermeister, der in 31-jähriger Amtszeit erfolgreich gegen die frühere Entvölkerung gekämpft hat, der Metzger, der nun Bürgermeister ist und weitere Dorfbewohner. Hinter ihnen zeigt eine Videolandschaft malerische Ansichten von Dorf und Landschaft, Anekdoten erzählen von Geschichte und Gegenwart eines Dorfes, das Einwanderung früher immer wieder mal erlebte: Portugiesen, die vor Salazar flohen, Spanier, die sich vor Franko retteten. Massimo Furlan interessiert sich für Formen der Erinnerung und ihrer Erzählungen. So erfahren wir von Details einer Flucht aus Spanien, von der ersten Wasserturbine, die das Dorf noch vor Biarritz mit Strom versorgte, vom Fandango und wie er im Baskenland praktiziert wird, von Mut-Spielen mit dem Hornvieh, davon wie das Baskische in der Bastide-Clairence mit dem Gaskonischen mit dem Französischen co-existiert. Hannah Arendt wird zitiert und daran erinnert, dass man in einer Sprache lebt, bevor man ein Land bewohnt. Und das alles sieht so aus, wie Dokumentartheater fast immer aussieht, mit seinen hehren Absichten, seinen sympathischen, aber irgendwie theaterfremden Protagonisten, seiner nüchternen Bühne und seinen gutmenschelnden Aussagen.

Die Wirklichkeit – noch schöner als die Kunst

Was aber bleibt von der aufregenden Behauptung vom Anfang, dass die Kunst der Performance eben doch die Welt der Flüchtlingshilfe verändern könne? Sie geht unter im Dickicht der Komplexitäten, die ihrerseits viel interessanter sind als die Schlagzeile. Z.B., dass die Flüchtlingsdebatte hier im Herz der europäischen Idylle statt findet. Das Dorf, die Bühne für Furlans Realitätstheater, zeigt die politischen Kämpfe mit klareren Konturen. Schön ist auch dass die Intervention des Künstlers hier außerhalb des Kulturbetriebs statt findet, an einem traditionell kunstfremden Ort.

„Künstler werden normalerweise lächerlich gemacht oder als Angehörige einer Elite diffamiert. Keiner weiß genau, was mit der Aussage des Künstlers anzufangen ist. Denn man weiß nicht, was anfangen mit der Freiheit die sich in ihr ausdrückt. Denn da spricht etwas anderes, als das, was Ökonomen sagen, Politiker oder Journalisten. Meine Anwesenheit erlaubt dem Dorf ein unerwartetes Nachdenken und die Möglichkeit sich selbst in Frage zu stellen.“

Auf Einladung des befreundeten und dort lebenden Komponisten Kristof Hiriart war Massimo Furlan vor drei Jahren nach La Bastide-Clairence gekommen und konnte sein riskantes Experiment dort auch nur ins Werk setzen, weil Hiriart in der Dorfgemeinschaft geschätzt wird. Vielleicht kann die Kunst die Welt nicht verändern, aber ein Klima der Offenheit schaffen. Und anschließend kann sie spielerisch Verhaltensweisen trainieren, für den Ernstfall Gastfreundschaft. Ja, und die Immobilienpreise? Nein, die seien noch nicht gesunken, murmelt, etwas schüchtern, der Bürgermeister.