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Milo Raus Europatrilogie endet mit „Empire“
Geflüchtete, Heimatlose, Vertriebene
von Eberhard Spreng

Wie bereits „The Civil Wars“ und „The Dark Ages“ ist auch der abschließende Teil der „Europa-Trilogie“ ein stiller, intensiver Innenraum abseits des Mord-Getöses, das die Weltgeschichte gerade veranstaltet.

Deutschlandfunk, Kultur Heute – 03.09.2016

Das Ensemble probt im Dekor
Ramo Ali, Maia Morgenstern, Akillas Karazissis, Rami Khalaf bei den Proben (Foto: Marc Stephan)

Wenn die Zuschauer von oben her den Theaterraum betreten, fällt ihr erster Blick auf das Fragment eines Operettendekors inmitten der Bühne: Über kleinen gotischen Torbögen thront ein kleiner Balkon mit schmiedeiserner Brüstung, dahinter eine Balkontür. Aber auch „Romeo und Julia“ könnte hier spielen, die Balkonszene. Auf den zweiten Blick das Erschrecken: Fassade und Fensterkreuze sind von Ruß geschwärzt, die Fensterscheiben geborsten. Ein Stück zertrümmertes Syrien also? Wofür dieses Dekor aber in Wahrheit steht, erfährt der Zuschauer erst später in der Aufführung: Für Milo Raus Sehnsucht nach einem klassischen Theater, das sich aus dem Magma zeitgenössischer Katastrophen wie eine große dramaturgische Ordnungsmacht erheben möge, um das namenlose individuelle Leiden in große, exemplarische Theaterrollen zu übersetzen.

Aber so etwas kann nur ein Traum sein. Deshalb drehen die vier Akteure das schmale Bühnenbild gleich am Anfang der Inszenierung um seine eigene Achse. Das Operettendekor verschwindet und dahinter erscheint eine etwas übervolle kleine Küche mit einem einfachen Tischchen und einfachen Stühlen. Hier im Privaten, einer Küche des zerstörten nordsyrischen Al-Qamschili, beendet Milo Rau seine Europa-Trilogie, in der nicht die große historische Zeit ins Blickfeld gerückt werden soll, sondern die individuelle Zeit, das biografische Detail.

Geschichten vom Leid des Exils heute und gestern

„Empire“ versammelt Lebensgeschichten von Flüchtlingen, Vertriebenen und Heimatlosen. Der syrische Schauspieler Rami Khalaf und kurdische Syrer Ramo Ali, der das Foltergefängnis in Palmyra überlebt hat, berichten von ihrer Kindheit, ihren Eltern und ihren heutigen Exilerfahrungen. An ihrer Seite steht der griechische Schauspieler Akillas Karazissis, dessen Großvater einst zur griechischen Minderheit von Odessa gehörte und vor der russischen Revolution über die gesamte eurasische Landmasse geflohen war. Akillas Karazissid selbst floh vor der griechischen Militärjunta ins Deutschland von Flowerpower und Selbstbefreiung und entdeckte als talentloser Bouzouki-Spieler den – wie er es nennt: „depressiven Minimalismus“. Er ergänzt das heutige syrische Trauma um die historischen Tiefenschichten von gewesenem Exil, Ortlosigkeit, Kulturverlust.

Eine besondere Rolle spielt Maia Morgenstern, die rumänische Jüdin, die durch den Film „Der Blick des Odysseus“ von Theo Angelopoulos und den Mel Gibson Streifen „Die Passion Christi“ berühmt wurde, wo sie die Jesusmutter gespielt hat. Diese Rolle hat ihr in ihrer jüdischen Gemeine Vorwürfe eingetragen. Kulturbrüche sind ein beliebtes Motiv in dieser ungeheuer stillen, in leiser und beschwörender Rede erzählten Kollage von Episoden der vorgestellten vier Biografien.

Anleihen beim Kino des Theo Angelopoulos

Die Komponistin Eleni Karaindrou, die Angelopoulos’ Filme vertonte, untermalt die Erzählungen mit einem oft wiederholten, milde melancholischen Klaviermotiv. Das hilft dem Zuschauer, in eine tranceartige Version von Empathie zu verfallen. Eine Kamera auf der Vorderbühne fängt die ernsten Gesichter der Akteure ein, in schwarz-weißen Videobilder erscheinen sie auf einer Leinwand.  Was der Betrachter dort aber auch sieht, sind die Fotos von Folteropfern, die Rami auf der Suche nach seinem verschollenen Bruder durchgeht. Auch ein Filmausschnitt aus Theo Angelopoulos’ „Der Blick des Odysseus“: Die gewaltige in Teile zerlegte Leninstatue, wie sie auf einem Kahn die Donau herunterfährt wie auf einem Totenfluß, das unerreichte  Bild des griechischen Filmemachers für den Untergang der Imperien. Und endlich erscheint das Videobild von Maja Morgenstern, wie sie auf dem verrußten Balkon vom Anfang des Stückes steht und Worte aus der Medea spricht, der ultimativen Tragödie von der Unvereinbarkeit der Kulturen. Ein Epilog des Agamemnon beendet das Stück. Es ist mit Händen zu greifen: Milo Rau will sein krudes biografisches Dokumentartheater hinter sich lassen und den Abschluss seiner Europa-Trilogie mit dem großen tragischen Theatererbe verknüpfen.

Europa – ein Empire?

Vielleicht soll der hanebüchen großsprecherische Titel „Empire“ nicht politisch, sondern kulturell verstanden werden: Europa ist ja nicht das Empire, das die großen Kriege der letzten Jahre in der arabischen Welt initiiert hat. Das Empire sind heute, nach fast einhelliger Meinung aller, die sich mit Geopolitik befassen, die USA. Europa kann nicht einmal eine diskursive oder narrative Deutungshoheit für die Katastrophen im nahen Osten für sich beanspruchen. Auch Milo Raus Trilogie markiert nicht den Sieg des Theaters über die Erfahrung der Sinnlosigkeit. Wie bereits „The Civil Wars“ und „The Dark Ages“ ist auch der abschließende Teil der „Europa-Trilogie“ ein stiller, intensiver Innenraum abseits des Mord-Getöses, das die Weltgeschichte gerade veranstaltet. Sie ist nicht weniger aber eben auch nicht mehr als das.

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