Thomas Ostermeier – Professor Bernhardi

„Professor Bernhardi“ an der Schaubühne
Abgründe in der weißen Hölle
Schnitzlers Ärztekomödie ist eine klassische Fallstudie über Antisemitismus. Thomas Ostermeier hat für die Titelfigur den Tatortkommissar Jörg Hartmann an die Schaubühne zurück geholt.
Von Eberhard Spreng

Deutschlandfunk – Kultur Heute, 18.12.2016 → Beitrag Hören

Der Stiftungsrat tagt und Professor Ebenwald putscht gegen den Vorsitzenden Bernhardi (Foto: Arno Declair)

Weiße Wände, weiße Kittel. Eine weiße Flügeltür, eine weiße Tür zu einem nicht weiter einzusehenden Krankenzimmer. Krankenhausalltag, Alltagsgespräche über Diagnosen, Therapien, Medikamente, und eine junge Patientin, die im Sterben liegt. Allerdings befindet sie sich im Zustand eines euphorischen Optimismus’, wähnt sich gesund. Aber plötzlich kommt mit dem Priester ein schwarzer Mann in den Vorraum, will der Patientin die Sterbesakramente erteilen und gerät mit dem Klinikchef Bernhardi aneinander, der der Patientin die letzte schöne Illusion nicht rauben will. Das Seelenheil vor oder die religiöse Geborgenheit nach dem Tod, zwischen beidem entsteht ein Streit, der schnell eine weltanschauliche Brisanz entwickelt, ein Konflikt um Gestaltungshoheit bei den letzten Dingen.

Verrat, durchtriebener Eigennutz, feiger Opportunismus

Das Schöne an dem von Thomas Ostermeier entschlossen ins Heute geholten Stücks des österreichischen Dramenmeisters Schnitzler ist, dass sich die metaphysischen Fragestellungen ganz schnell im knallharten politischen Skandal auflösen, anders gesagt, in unser aller Wirklichkeit. Denn Bernhardis Widersacher und Klinikvizechef Ebenwald lanciert über einen verwandten Abgeordneten im Parlament eine Anfrage und mobilisiert die Rechtspopulisten gegen den erfolgreichen Kollegen.

„Ich bin überzeugt, dass keiner daraus eine Affäre machen würde, wenn Bernhardi nicht zufälligerweise Jude wäre.
Da seid Ihr wieder bei Eurer fixen Idee. Bin ich etwa auch ein Antisemit? Ich, der ich immer mindestens einen jüdischen Assistenten habe? Gegenüber einem anständigen Juden gibt es keinen Antisemitismus.“


Ein Riss geht nun durch die Klinikbelegschaft. In dem figurenreichen Ensemble lassen sich nun im Skandalmodus, gelegentlich kunstvoll begleitet von parallel auf die Bühne geworfenen Videobildern der Akteure, alle mögliche Verhaltensvarianten beobachten: Verrat, durchtriebener Eigennutz, feiger Opportunismus: Sebastian Schwarz spielt den Anstifter Dr. Ebenwald mit robuster Hemdsärmeligkeit beim Kampf um den Chefsessel. Thomas Bading sah man kaum je besser als einen etwas weitschweifigen und schnell resignierten Dr. Cyprian. Moritz Gottwald als der von allen belächelte ewige Praktikant. Hans-Jochen Wagner als Gesundheitsminister, der sich verlegen windet, wenn er von Bernhardi wegen seiner karrieristischen Treulosigkeit zur Rede gestellt wird. Sie und all die anderen des exzellenten Ensembles haben es mit einer merkwürdigen Titelfigur zu tun. Denn von Szene zu Szene, von Satz zu Satz, offenbart sich in diesem Professor immer mehr ein Mensch, dem jede Unehrlichkeit, jeder Kompromiss, jeder Deal zuwider ist, und der so mit geradezu schlafwandlerischer Sicherheit die gegen ihn laufende Intrige verschlimmert.


„Ich muss mich schuldig bekennen, ja, schuldig dass ich als Direktor nicht alles getan habe, um eine Anfrage im Parlament zu verhindern, die zur Folge hat, dass das Ansehen unseres Institutes bei allen Heuchlern und Vollidioten herabgesetzt wurde. Um die einzig richtige Konsequenz daraus zu ziehen, lege ich hiermit die Leitung des Institutes nieder.“


Eigentlich kaum zu glauben, dass dieser Ehrlichkeitsfanatiker, der sein privates Wertesystem naiv und mitunter arrogant in die Öffentlichkeit trägt, als wären da keine anderen Menschen, jemals Chef einer angesehenen Privatklinik werden konnte.

Ein Wohlfühl-Held plaudert aus den Gutmenschen-Nähkästchen

Es ist Schnitzlers Kunst zu verdanken, dass aus dieser Figur kein papierenes Ideal geworden ist. Jörg Hartmann, einst Torvald Helmer in Ostermeiers berühmter Nora-Inszenierung, dann Fernsehschauspieler und Tatort-Kommisar, spielt ihn grandios: Für jede kleine emotionale Wendung findet er mimische und gestische Schattierungen. Er wird fast nie laut und steckt jede neue Niedertracht hochmütig weg wie ein letztlich Unberührbarer. Auch als sich am Ende die liberalen Kräfte gegen die Populisten durchsetzen, hat er keine Lust, auf deren Schultern als Sieger davongetragen zu werden. Alles Mediale, alles Öffentliche, ist ihm zuwider. Dieser Professor Bernhardi ist die Projektionsfläche unserer hehren Gedanken, ein Gutmenschen-Nähkästchen, ein Wohlfühl-Held. Bertolt Brecht hätte so einen auf der Bühne lächerlich gemacht und durch den materialistischen Kakao gezogen, Henrik Ibsen hätte ihn einen Volksfeind genannt und mit ihm am liebsten eine Partei gegründet. Nur Schnitzler, der Radikal-Privatier, lässt den Mann am Ende einfach verglimmen, wie eine runtergebrannte Kerze. Ein Ministerialrat, mit Christoph Gawenda herrlich salopp und abgeklärt, sagt ihm was er ist: ein Hornochse, der besser den Mund hielte, wenn er nicht bereit ist, für seine Überzeugungen sein Leben einzusetzen. Dann verschwindet der Beamte und die paar Möbel und Dr. Bernhardi sitzt allein auf der leeren Bühne. Die Welt ist endlich verschwunden.
An Ostermeiers neuer Arbeit ist vieles schön: Das Ding mit der Religion – gebongt. Die Kritik am Antisemitismus – ok. Die Aktualität des Rechtspopulismus, prima. Was aber regelrecht begeistert ist noch etwas anderes: Er stößt mit einem hundert Jahre alten Stück dramaturgisch schlüssig ins Herz unserer heutigen Widersprüche: Eine rein private Besserwisserei ist ein gefährdeter Luxus in politisch brisanten Zeiten.